Die neuen Grünen

Die neuen Grünen
Damals noch im NRW-Wahlkampf: Parteichefin Lang (l.), Ministerin Neubaur, Vizekanzler Habeck, Staatsministerin Roth (Foto: Raimond Spekking / CC BY-SA 4.0)

Von Dan Ioffe

Es sind stürmische Zeiten für einen Grünen-Parteitag, wenn 800 Delegierte und 1000 Gäste in Bonn zusammenkommen. Auf dem am vergangenen Wochenende die Basis erstmals seit drei Jahren auf die Parteispitze trifft. Es geht um viel, darum, wie lange der Atomausstieg hinausgezögert wird, darum, dass grüne Minister das Klimasymbol Lützerath abbaggern lassen, um Waffenlieferungen an Saudi-Arabien. In Bonn-Gronau könnte jetzt der volle Frust der Basis auf ihre Regierungsmannschaft treffen.  

1999 waren die Grünen auch an der Macht. Wenige Meter vom World Conference Center, in der Bonner Republik, stimmte die Grünenspitze der NATO-Beteiligung im Kosovo zu. Die Konsequenz bekam Joschka Fischer schmerzhaft zu spüren: Ein Farbbeutel aus den Reihen der Basis flog auf dem Sonderparteitag in Bielefeld gegen den Hals des Außenministers.

23 Jahre später ist die Stimmung eine andere. „Wir wollten diese Verantwortung“, kaum ein Satz fällt öfter an diesem Wochenende. Die einst so streitlustigen Grünen versammeln sich in der Bundesstadt nahezu harmonisch hinter ihrer Führung. Obwohl ihnen die Krise Entscheidungen abverlangt, für die vor Monaten noch Farbbeutel geflogen wären. Spätabends geht es am Freitag um die Atomkraft, Wirtschaftsminister Habeck will zwei Atomkraftwerke noch bis Mitte April in die Ersatzreserve versetzen. Eigentlich sollen alle deutschen AKW Ende des Jahres vom Netz gehen. 

Die FDP als Gegner schweißt die Grünen zusammen

Die FDP hingegen will eine Laufzeitverlängerung bis mindestens 2024. Die Debatte ist schwer für eine Partei, die ihre Wurzeln in der Anti-Atomkraftbewegung hat. Doch wenig schweißt die Grünen in diesen Zeiten so zusammen wie die Freien Demokraten als Gegner. Der Vizekanzler tritt an das Rednerpult, es ist eine typische Habeck-Rede, energisch und ehrlich. Er feiert die Grünen, schmeichelt der Partei, nie habe er sich so zu Hause gefühlt wie in dieser Phase, dann bricht seine Stimme weg. Der Winter werde hart, man werde ihn gemeinsam durchstehen. Habeck stichelt gegen die FDP, würden die Grünen doch wissen, warum sie in der Regierung seien. Jetzt sei nicht die Zeit für Parteipolitik. 

Aktivisten haben vor dem World Conference Center in Bonn Plakate aufgehängt

Eine Zumutung nennt Bundesumweltministerin Steffi Lemke den Antrag. Noch vor einem Jahr habe sie fest damit gerechnet, dass Atomkraft in Deutschland Ende des Jahres Geschichte ist.  „Jetzt stehe ich hier vor einem Grünen-Bundesparteitag und werbe um eure Zustimmung für diese Zumutung“, sagt Lemke. 

Am Ende stimmen die Delegierten für den Antrag des Bundesvorstandes. Die rote Linie, das hört man auf diesem Parteitag immer wieder: neue Brennstäbe. Ein Risiko für die Bevölkerung nennt sie EKG-Absolvent und Nordrhein-Westfälischer Landeschef Tim Achtermeyer gegenüber unserer Zeitung. Streckbetrieb ist ein grüner Kompromiss mit der Realität, so schmerzhaft er auch ist, den auch manch ältere Mitglieder mittragen können. Also auch die, die lange in der Atomkraftbewegung aktiv waren. Wenn auch nicht alle: „Wer garantiert uns, dass wir den 15.4. nicht auch kippen?“, fragt der Delegierte Karl-Wilhelm Koch. Doch der Parteitag stimmt für den Streckbetrieb. Hat er eine Wahl? Eine Ablehnung würde Parteispitze und Regierungsmannschaft in eine Krise stürzen. 

Gleichzeitig lassen sie ihrem „Robert“ kaum Optionen im Streit mit FDP-Chef Lindner. Ein möglicher Bruch mit dem Koalitionspartner oder der Bruch mit seiner eigenen Partei, so viel Handlungsspielraum bleibt dem Wirtschaftsminister nach diesem Wochenende. 

Am Samstag muss sich dann seine Kabinettskollegin Annalena Baerbock der außenpolitischen Debatte stellen. Sie spricht über Krieg, versichert der Ukraine die deutsche Unterstützung, auch wenn es Gegenwind gibt. „Lasst uns dort hingehen, wo der Widerspruch am härtesten ist“, ruft die Außenministerin in den Saal. Ja, es habe Waffenlieferungen an Saudi-Arabien gegeben, Altverträge der vorigen Regierungen. Die Zustimmung zu diesen Lieferungen sei Habeck und ihr nicht leicht gefallen. Man könne Verträge aber nicht einfach aus der Welt schaffen. „Es gibt keine Waffenlieferungen aus Deutschland nach Saudi-Arabien“, betont Baerbock. Eine Halbwahrheit, geschieht dies doch über europäische Verbündete. Dem Königreich wird vorgeworfen, im Jemen Kriegsverbrechen zu begehen. 

Das Präsidium lost eine Rednerin, Jenny Laube, Grüne aus Berlin. Kein Vertrag stehe über der Verfassung, über dem Völkerrecht, sagt sie. Die Genehmigung der Bundesregierung für die Rüstungsexporte müsse rückgängig gemacht werden. Zur Abstimmung kommt es nicht, Antragskommission und Antragssteller hatten sich auf eine Formulierung geeignet. 

„Lützi“ bleibt nicht

Am Sonntag geht es dann um den nächsten Streitpunkt: Klima und vor allem um Lützerath, ein Nordrhein-Westfälisches Örtchen, dass dem Braunkohleabbau weichen soll. Habeck und seine Landeskollegin und Parteifreundin Mona Neubaur hatten ein Abkommen mit dem Energiekonzern RWE geschlossen: Der Kohleausstieg in NRW wird um acht Jahre auf 2030 vorgezogen. Aber Lützerath wird abgebaggert. Die Kohle darunter werde benötigt, eine Folge des Krieges. Lützerath aber ist das Symbol der Klimabewegung, „Lützi“ nennen sie das Dorf. Greta Thunberg war schon hier, Luisa Neubauer auch, sie haben es zur 1,5-Grad-Grenze ausgerufen, Wallfahrtsort für Aktivisten wird es genannt. 

Dass das Klima erst am Sonntag angesprochen werden soll, stört manche. Wenn planmäßig um kurz vor 12 Uhr die Debatte unter dem Titel „Klimakrise als Menschheitsaufgabe: für Klimaschutz, für Freiheit” beginnen soll, habe sich auf dem Parteitag längst Abreisestimmung breit gemacht, argumentierte ein Delegierter. Sein Antrag zur Änderung der Tagesordnung wird abgelehnt. 

Es sei kein Zufall, dass das Thema Atomkraft am Freitag erst um 22 Uhr angesetzt war, wurde im Vorfeld gelästert. Und genauso wenig dürfte es ein Zufall sein, dass das Klima erst am Sonntag auf der Tagesordnung steht, auch wenn Parteikreise das natürlich bestreiten. 

In seiner Rede am Freitag redet Habeck eine Entscheidung herbei, man müsse sich entscheiden zwischen dem Überleben des mittlerweile nur noch von Aktivisten bewohnten Dorfes und acht Jahren weiterem Kohleabbau. 

Spricht man mit Delegierten, vom Neumitglied, langjährigen Bündnisgrünen, über die Grüne Jugend bis zum Landesvorsitzenden, dann gehen die Meinungen sehr weit auseinander.  

Warum ihnen diese Entscheidung so schwerfallen würde? “Wir stimmen Bundes- und Landesregierung nicht zu”, sagt Nicola Dichant, Landessprecherin der Grünen Jugend NRW. Zum einen gebe es Zweifel an den Gutachten, die das Land erstellen ließ. Etwa seien Daten von RWE eingeholt worden und damit eher weniger vertrauenswürdig. Zum anderen bemängelt man, dass die Klimaziele kein Teil der Gutachten waren. Ohne Lützerath könnte man diese möglicherweise nicht einhalten, so Dichant im Gespräch mit der „KalkuhlSZ” am Rande des Parteitags. 

NRW-Parteichef Achtermeyer hingegen will das große Ganze sehen, auch wenn er die Kritik nachvollziehen könne. Mit dem vorgezogenen Kohleausstieg bleibe im Land viel Kohle im Boden und damit auch viel klimaschädliches CO₂. Jetzt sei es wichtig, den Kohleausstieg auch im Osten vorzuziehen, sagt der Bonner Landtagsabgeordnete. 

Die Grüne Jugend protestiert, Delegierte reden sich in Rage. Der Aktivismus der Partei flammt für einen Moment wieder auf. Die Abstimmung ist knapp, es muss schriftlich abgestimmt werden muss. Doch am Ende werden sich die Grünen auch bei diesem Punkt hinter ihre Minister stellen. „Lützi“ bleibt nicht. 315 Delegierte lehnen einen Änderungsantrag der Grünen Jugend für ein „Räumungsmoratorium“ ab. 294 stimmten dafür.

Aktivisten in der Dunkelheit vor dem Parteitag: Sie werfen den Grünen Verrat vor

Draußen vor dem World Conference Center haben sich zum Auftakt Protestgruppen versammelt. Fridays for Future demonstriert für Lützerath, Atomkraftgegner haben den Weg zum WCCB zuplakatiert, gelbe Fässer stehen auf dem Boden. Wenn Robert Habeck seine Partei am Freitag auf einen harten Winter einschwört, werden in der Bonner Dunkelheit noch Aktivisten ausharren. 

Ob grüne Wähler von ihrer Partei enttäuscht sein werden? Vor allem die Klimabewegung, glaubt eine bayerische Delegierte. Doch in Krisenzeiten müsse man sich eben hinter die Regierungslinie stellen. Sie bemerke viele Anfeindungen, gegen die Partei, gegen ihre Anhänger, gegen die vermeintlich grüne Politik, auch Robert Habeck hatte davon gesprochen. 

Wer Grünen Parteitage kenne, der wisse, dass man mit Sitzungen bis tief in die Nacht rechnen müsse, sagte die Politische Bundesgeschäftsführerin Emily Büning bei einem Pressebriefing. Bis Mitternacht war am Freitag die AKW-Debatte angesetzt, sie endete Stunden davor. Auf Grundsatzdiskussionen haben die Grünen offenbar keine Lust mehr.  

Es ist ein seltsamer Parteitag. Friedenspartei, aber Bündnisverpflichtungen. Anti-Atomkraftpartei, aber Energiekrise. Klimapartei, aber Lützerath muss weichen. Staatstragend und realpolitisch sind die Grünen geworden und sie sind auch stolz darauf. Aus der Kombination Verantwortung und Applaus könnte man glatt ein Trinkspiel machen. Es lohnt sich in der Regierung zu sein, ruft Habeck in den Raum. Dann zählt er die Erfolge der Koalition auf, wenig sind es nicht. Viele Delegierte stimmen zu, auch in Krisenzeiten, auch mit den Freien Demokraten. 

Ob es sich lohne, in der Regierung zu sein? Das wisse sie nicht so genau, sagt GJ-Sprecherin Dichant. Wenn, dann müsse mehr passieren, dann müssten sich die Grünen mehr durchsetzen. Eine Position, der auch viele andere Delegierte zustimmen dürften. 

An diesem Wochenende geht es um die schmerzhaften Kompromisse mit der Realität. Die Werte der Partei müssen warten, in der regnerischen Bonner Dunkelheit.  

Dan Ioffe

Chefredakteur der KalkuhlSZ

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