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Massenverhaftungen gegen Gangkriminalität: El Salvador, eine beliebte Diktatur?

Massenverhaftungen gegen Gangkriminalität: El Salvador, eine beliebte Diktatur?
Präsident Nayib Bukele (Bild: Wikimedia Commons/PresidenciaSV/CC BY-SA 4.0/Archiv)

Wie wird man ein beliebter Diktator? Diese Frage haben sich bestimmt schon viele Autokraten gestellt.  Einer aber hat es geschafft: für 80 bis 90 Prozent der El Salvadorianische Bevölkerung ist Nayib Armando Bukele Ortez, der Präsident El Salvadors, ein Held, weil er mit seinem „Krieg gegen Verbrecher“ das von Kriminalität geprägte Land gangsterfrei macht, und weil er auf sozialen Medien sehr beliebt ist.

Bukele und seine Partei, „Neue Ideen“, wurden im Jahr 2019 gewählt und traten mit dem Versprechen an, alle Kriminelle im Land zu verhaften, etwas, was viele Präsidenten vor ihm schon probiert hatten. Twitter und Instagram halfen ihm sehr dabei, so viele Stimmen zu erhalten. Über die sozialen Medien braucht Bukele nur 12 Stunden, damit alle 6 Millionen Einwohner über ein Thema reden. Die Opposition hingegen braucht 500 Stunden. Diese Reichweite benutzt er immer noch und ist auf sozialen Medien als „Der coolste Diktator der Welt“ und „Der Philosophenkönig“ bekannt. Wenn man Salvadorianer ist, ist Bukeles Twitter Account auch fast die einzige Quelle für Informationen über den „Verbrecherkrieg“. Noch ein Grund, warum er so beliebt ist, ist, dass er häufig Bilder postet, auf denen gezeigt wird, wie die schlimmsten Gangster El Salvadors verhaftet werden.

Der „Verbrecherkrieg“ begann im März 2022, nachdem 87 Menschen an einem Wochenende ermordet wurden, vermutlich nach einer Absprache zweier krimineller Gruppen. Daraufhin erklärte das Parlament auf Antrag Bukeles sofort einen Ausnahmezustand. Die Polizei durfte ab jetzt jeden ohne richterlichen Haftbefehl verhaften, den sie im Verdacht hatte, einer Bande anzugehören oder jeglichen Kontakt zu einer Gang gehabt zu haben, selbst wenn der einzige Beweis eine verdächtige Tätowierung oder ein anonymer Hinweis war.  Mehr als 71.000 Menschen wurden schon festgenommen und in überfüllte Gefängnisse gebracht. Die Vereinten Nationen, westliche Länder und Menschenrechtsaktivisten sind entsetzt, aber viele Salvadorianer finden das Vorgehen gut.

Gründe dafür sind die abnehmende Kriminalität und weniger Morde, wie auch die jetzt geringe Macht der Gruppen.  Wenn ein Verbrecher früher die Straße hinunterlief, in einen Laden ging und Geld forderte, wusste der Ladenbesitzer, dass wenn er die Polizei anrief, dies sein Tod wäre. Würde heute so einer auf der Straße erscheinen, könnte jeder die Polizei anrufen und ihn hinter Gittern bringen lassen. El Salvadors Mordrate pro 100.000 Einwohner fiel schon vor 2022. Im Jahr 2015 gab es 106 Morde pro 100.000 Einwohner. In 2018 waren es 51, in 2021 nur noch 18, und letztes Jahr sind sie auf 8 Morde pro 100.000 Menschen gesunken. Dennoch war der „Verbrecherkrieg“ für einen Großteil der fallenden Mordrate verantwortlich.

„Schwere Menschenrechtsverletzungen“

Da aber so viele Menschen aufgrund so weniger Beweise verhaftet wurden, gibt es viele Unschuldige, die im Gefängnis sitzen, und im Krieg gegen Verbrecher möchte man auf keinen Fall verhaftet werden. Human Rights Watch wirft der Regierung deshalb schwere Menschenrechtsverletzungen vor. Unter den Verhafteten seien auch Kinder. „Die salvadorianischen Behörden pferchen Festgenommene auf unmenschliche Art zusammen, darunter auch Hunderte Kinder, während sie auf der anderen Seite wenig dafür tun, den Opfern von Ganggewalt Zugang zum Rechtssystem zu verschaffen“, zitiert das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ Tamara Taraciuk Broner, die Regionalchefin der Menschenrechtsorganisation.

Die seit Anfang letzten Jahr verhafteten Gefangenen bekommen 1800 Kalorien pro Tag, zuvor waren es 2.100. Außerdem sind die Vollzugsanstalten überfüllt, dreckig und aufgrund der Überfüllung schlafen dutzende Männer zusammen in einer Zelle, was zu häufigen Auseinandersetzungen führt. Wegen des Gefängnisessensmangels müssen viele Familien für ihre gefangenen Verwandten sorgen. Die notwendigen Kosten von 150 US-Dollar für zwei Wochen können sich die meisten nicht leisten, denn viele Salvadorianer verdienen nur bis zu 328 Dollar pro Monat.

Journalisten wurden von den Aktivitäten auch getroffen. In El Salvador drohen 15 Jahre Haft für einen Artikel, den man angeblich „für eine Bande geschrieben hat, um Angst und Panik zu verbreiten“‚. Bukele sagt, dass manche Reporter wollen würden, dass sein Projekt scheitert, weshalb mehrere Journalisten das Land verlassen haben. So kann er die Presse sehr gut kontrollieren und mehr Macht bekommen, obwohl der „Verbrecherkrieg“ ihm sowieso schon zu viel davon gegeben hat.

Andere arme Länder adaptieren schon seine Idee. Zum Beispiel hat das ebenfalls von Gangs geplagte Haiti El Salvador die Erlaubnis gegeben, eine Botschaft in Port-au-Prince, Haitis Hauptstadt, zu eröffnen, um mit Haitis Verbrechern wie im eigenen Land umzugehen. In El Salvador plant Bukele im Februar 2024 nochmal für die Präsidentschaft zu kandidieren, obwohl eine unmittelbare Wiederwahl in der Verfassung nicht vorgesehen ist. Doch die regierungstreuen Richter am Obersten Gericht kippten das Verbot. Im folgenden Jahr verspricht Bukele einen „Krieg gegen die Korruption“. Welche Folgen sein Vorgehen für das einst „gefährlichste Land der Welt“ haben wird, das ist noch nicht abzusehen.

Quellen

  1. The Economist 22nd – 28th July 2023 (S. 35 – 37)  
  1. The Guardian Weekly Thursday 27 July 2023 (S. 5) 
  1. The Rise of Nayib Bukele, El Salvador’s Authoritarian President | The New Yorker 
  1. El Salvador verlängert den Ausnahmezustand – mal wieder | Der Spiegel 

Christopher Garnett

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